Allmählich geht mir eine ganze Bogenlampe auf...
100 Jahre Kieler Matrosenaufstand
Nach der szenischen Lesung "Endlich, endlich, endlich - Seeschlacht!", zeichnen DeichArt anhand der Erinnerungen der Obermatrosen Richard Stumpf und Carl Richard Linke die Ereignisse von den ersten Matrosenaufständen 1917 bis zur Revolution im November 1918 nach. Wir erleben die dramatische Entwicklung der Konflikte, geschürt durch die erschütternden Missstände an Bord der Großkampfschiffe.
Besonders für Carl Richard Linke spitzen sich die Geschehnisse schicksalhaft zu, als er im August 1917 im Zuge der ersten Aufstände wegen angeblicher Beteiligung an „kriegsverräterischer Aufstandserregung“ zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt wird. Es ist das gleiche Verfahren, in dem die Matrosen Albin Köbis und Max Reichpietsch zum Tode verurteilt werden. Die Willkür und Brutalität der Marinejustiz, die mit diesen Urteilen ein Exempel statuieren und somit ein Ende der Unruhen erzwingen wollte, lässt nicht zuletzt auch Richard Stumpf, bis dahin patriotisch und vaterlandstreu, das Vertrauen in die oberste Führung verlieren.
DeichArt stützt sich in der Betrachtung dieser geschichtsträchtigen Vorgänge nicht ausschließlich auf die Aufzeichnungen Stumpfs und Linkes, sondern zieht weitere Quellen hinzu, die den historischen und politischen Wert der Tagebücher belegen und sie in den Kontext ihrer Rezeption in den vergangenen hundert Jahren stellen.
So sind unter anderem Momente aus dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss für die Schuldfragen des Weltkriegs Teil der theatralen Auseinandersetzung. Verdichtet zu einer komplexen Collage, gestaltet sich die szenische Lesung als eine Art Dokumentarspiel, mit unterschiedlichen Perspektiven und Schauplätzen und einer heutigen Sicht auf die Erzählung dieses bedeutenden Kapitels deutscher Geschichte.
"Matisek Brockhues, Eirik Behrendt und Tom Keller wechseln auf dem schlichten Podest, das Sibylle Meyer ins Studio gebaut hat, so bruchlos durch die Rollen und Erzählebenen, als folgten sie ihren Assoziationen. Wie Fundstücke baut Anne Spaeter Episoden und Einschätzungen zusammen und ineinander, macht mit minimalistischem Spiel und reduzierten Mitteln Geschichte lebendig. Und im Gespinst der Tonlagen und Reflexionsebenen entsteht aus Sprache und Sounds, die das Trio auf Blechkisten, Mundharmonika und Maultrommel beisteuert, ein Wogen der Stimmungen, ein Rhythmus der unaufhaltsam in den Aufstand treibt...und die DeichArt-Darsteller machen die Dramatik des Augenblicks spürbar." Kieler Nachrichten 26.03.18